Europa

Antike

Das Konzept „Adel“ des europäischen Mittelalters, das wesentlich im 19. Jahrhundert ausgebildet wurde, lässt sich nur bedingt auf die antiken Kulturen der Griechen und Römer übertragen. Hier galt nicht wie in den Feudalgesellschaften seit dem europäischen Mittelalter die Abstammung als das herausragendste Kennzeichen des Adels, sondern ihre Leistung bzw. „Bestheit“ (griechisch arete, lateinisch nobilitas). Die antike Aristokratie leitete ihren Herrschaftsanspruch eher einer besonderen Leistung (für den Staat) ab, weniger aus dem Glück, in einer bestimmten Familie geboren worden zu sein. So verlieh beispielsweise der römische Senat mit der Lex Cassia (44 v. Chr.) Gaius Iulius Caesar das Recht, neue Patrizier zu ernennen. Kaiser Augustus der seit seiner testamentarischen Adoption durch Julius Caesar Patrizier war, ließ sich vom Senat mit der Lex Saenia (29 v. Chr.) ebenfalls ein solches Recht verleihen, das auch durch Augustus' Nachfolger ausgeübt wurde. Anlass war Lucius Saenius, der sich – wie andere niedere Beamte auch – von Augustus als Werkzeug gebrauchen ließ und als Gegenleistung Suffektkonsul wurde.

 

Antikes Griechenland

Mangels schriftlicher Quellen gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse über das antike Griechenland, etwa das Königtum in Sparta oder die Herrschaft im Königreich Makedonien.

 

Anders als die auf Handel und Seefahrt begründete Macht der Phönizier gründete die adlige Vorherrschaft jedoch in Sparta und Korinth vor allem auf ausgedehntem Grundbesitz, dem Innehaben der Priesterämter und dem Privileg der Rechtsprechung bis hin zum Sklavenhandel (Schuldknechtschaft). Kennzeichnend war eine Spaltung der Gesellschaft in die „Vornehmen und Reichen“ (Kalokagathia) und die „Geringen“. Insbesondere das Halten von Pferden und die Teilnahme an Pferde- und Wagenrennen bei Olympischen Spielen waren dem Adel vorbehalten. Ein Beispiel sind die „Hippoboten“ (der berittene Adel) auf Euböa.

 

Aus der zu Oligarchie und Tyrannis verkommenen Aristokratie entwickelte sich die demokratische Polis in den Stadtstaaten wie dem antiken Athen.

Antikes Rom

Im antiken Rom gab es einen Stand der equites (Ritter), der mitunter als „niederer Adel“ gedeutet wird. Der Aufstieg eines Römers in einen höheren Stand bis zum Ritter war möglich, maßgebend aber durch festgelegte Vermögensgrenzen bestimmt (vgl. Zensuswahlrecht). Diese Rangordnung ging wahrscheinlich auf die römische Frühzeit zurück, wo die Gesellschaft entsprechend der Heeresordnung gegliedert war. Die Stellung im Heer bestimmte sich aus der selbst bereitzustellenden Ausrüstung; entsprechend nahmen Wohlhabendere höhere Stellungen ein. Ein eques ist in diesem Sinn ein Soldat zu Pferde. Über die genaue Stellung dieser Krieger ist sich die Forschung uneins. Gesichert ist, dass von den Punischen Kriegen an die Bedeutung der eques vor allem im wirtschaftlichen Bereich begründet liegt. Als vermögende Schicht ohne die Ehrenpflichten der Senatoren konnten sie vom Staat verpachtete Hoheitsaufgaben übernehmen, beispielsweise die Einziehung der indirekten Steuern und Zölle.

 

Kaiser Commodus bezeichnete sich ab 186 als nobilitas Augusti, um so seine inzwischen umstrittene Herrschaft durch eine vermeintliche Verwandtschaft mit Kaiser Augustus zu begründen. Im 3. Jahrhundert wurde die Bezeichnung nobilissimus üblich für den Cäsaren als designierten Nachfolger des Herrschers, was ihn lediglich als Sohn desselben kenntlich machte. Die ehemaligen Inhaber konsulischer Ämter (s. dazu auch Cursus honorum) und deren Nachkommen bildeten den senatorischen Adel. Der Senatorenstand wurde im Gegensatz zur Ritterwürde nicht vom Kaiser verliehen, sondern konnte nur geerbt werden. Der senatorische Adel verlor während der Reichskrise des 3. Jahrhunderts an Bedeutung; die Machtgrundlagen (Großgrundbesitz, Finanzen sowie sozialer und politischer Einfluss) blieb den Senatoren dennoch meist erhalten. Seit Kaiser Konstantin wurde dies zu einer exklusiven Rangbezeichnung. Der Senatsadel entwickelte erst in der Spätantike ein adliges Standesbewusstsein. Er bezeichnete seine Mitglieder bis ins 6. Jahrhundert als nobiles und senatores und markiert den langsamen Übergang zum Adel des Mittelalters. Der spätantike gallorömische Senatsadel verfügte aber noch in der frühen Merowingerzeit über beträchtlichen Einfluss.

Allgemein

Der Ursprung des mittelalterlichen Adels ist umstritten. In einer die Mittelalterforschung seit dem 19. Jahrhundert umfassenden Untersuchung hat Werner Hechberger gezeigt, „daß Untersuchungen zur Geschichte des mittelalterlichen Adels immer – und zwar gleichgültig, ob sich die Verfasser dessen bewußt sind oder nicht – auf theoretischen Prämissen beruhen, die den Ausgangspunkt von Quellenanalysen bilden. Diese theoretischen Vorüberlegungen wandeln sich mit der Gegenwart der Historiker“. Immer wieder werden überlieferte antike oder mittelalterliche Quellen von unterschiedlichen Autoren völlig unterschiedlich, teilweise dieselben Textstellen gegensätzlich interpretiert, je nachdem welches Gesellschaftsmodell vom jeweiligen Autor ausdrücklich oder unbewusst zugrundegelegt wird.

 

Nach Marc Blochs grundlegendem Werk Die Feudalgesellschaft (1939) gab es zwar schon im merowingischen und karolingischen Frühmittelalter einen grundbesitzenden Adel, etwa die Großen des Fränkischen Reichs (z. B. die Robertiner als Ahnen der Kapetinger), die Inhaber karolingischer Grafenämter (etwa die Welfen), einige davon Aufsteiger in höfischem oder kirchlichem Dienst, andere vielleicht im Ursprung sogar germanische oder keltische großbäuerliche Häuptlingssippen (von denen aber allenfalls wenige bis auf die Anführer germanischer Gefolgschaftsbanden der Völkerwanderungszeit zurückgehen mochten). Politisch wuchs das Gewicht dieses Adels (ebenso wie das der Kirche und des Königstums) zunächst auch zu Lasten der anderen Freien. Im Heeresaufgebot der Karolinger, das teilweise Funktionen der Volksversammlung übernahm, in der Verwaltung und Gerichtsbarkeit dominierte zusehends der aus germanischem Geblütsadel und romanischem Landadel zusammenwachsende Adelsstand. Nach Bloch sei dieser ältere Adel jedoch in der Zeit des Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung in Europa während der Anstürme durch Wikinger, Sarazenen und Magyaren ab etwa 800 bis kurz nach 1000 n. Chr. durch einen spontan entstandenen, wehrhaften Schwertadel (teils unfrei-bäuerlicher, teils freier oder edelfreier Herkunft) abgelöst worden, der es auf sich nahm, als Panzerreiter die bäuerliche Bevölkerung zu verteidigen und der dafür von ihr ernährt und mit (damals kostspieligen) Pferden und Waffen sowie Kriegsknechten ausgerüstet wurde. Diese Gruppe bildete anschließend die Basis der Lehnspyramide. Es ist jedoch davon auszugehen, dass manche der mächtigsten Familien des Hochmittelalters genealogisch und auch besitzmäßig aus den frühmittelalterlichen Eliten hervorgegangen sind.

Es entwickelte sich ein Vasallen­system, in dem entweder der Mächtigere seinen Gefolgsleuten die Mittel und Verantwortung für ihren eigenen Unterhalt (Land und Leute) übertrug oder – häufiger – die Schwächeren ihren Beschützern umgekehrt ihre Ländereien übergaben und diese als Lehen zurückerhielten, um sodann den mit Geld- oder Naturalabgaben und Ackerfronen belasteten Grund und Boden den Hintersassen zum Ackerbau zu überlassen. Die Erblichkeit der Lehen und die Zulässigkeit des Weitervergebens als Afterlehen wurden 1037 von Kaiser Konrad II. mit der Constitutio de feudis festgelegt. So kam es, dass im 12. Jahrhundert bereits alle Herzogtümer und Grafschaften als Lehen vergeben waren. Innerhalb dieser einzelnen geistlichen und weltlichen Territorien bestand aber wiederum ein vielgliedriges Lehnswesen.

 

Im 13. Jahrhundert traten neben den älteren, edelfreien Adel immer mehr Angehörige ursprünglich unfreier Familien, die sich als Dienstmannen („Ministeriale“) durch kriegerische oder administrative Fähigkeiten auszeichneten und aufgrund ihrer Stellung, z. B. als Burgmannen, bald die Schwertleite oder den Ritterschlag erhielten. Auch diese untere Gruppe begann sich seit der Mitte des 13. Jahrhunderts als Adel zu verstehen, auch wenn die soziale Trennung zum „alten“ Adel noch lange Zeit eine Rolle spielte; so werden in Urkunden die Edelfreien als Zeugen gewöhnlich vor den Ministerialen aufgezählt. Die sich herausbildenden Standesideale und Kulturmerkmale des Rittertums, idealisiert durch den Minnesang und Formen des Wettkampfes wie das Turnier, trugen zur Ausbildung einer einheitlichen Adelskultur unter den „Ritterbürtigen“ und damit zum Verschmelzen von Edelfreien und Ministerialen zum Uradel bei.

 

Im Sachsenspiegel aus dem 13. Jahrhundert kommt das Wort „Adel“ nur einmal vor: Ein eheliches Kind ist entweder ein adeliges Kind oder ein leibeigenes Kind („adel kint“, „egen kint“, Ssp. Ldr. I/51,2). Sonst spricht der Sachsenspiegel von „Freien“. Das Rechtsbuch deutet aber an, dass damit ein kriegerischer, über Grund und Boden und unfreie Bauern herrschender Stand gemeint ist. Ein eindrucksvolles Beispiel ist die Legende über die Herkunft der Sachsen:

 

    „Unsere Vorfahren, die hier ins Land kamen und die Thüringer vertrieben, die waren in Alexanders Heer gewesen … Da es ihrer so viele nicht waren, dass sie den Acker bestellen konnten, da ließen sie, als sie die thüringischen Herren erschlugen und vertrieben, die Bauern sitzen unerschlagen und verdingten ihnen den Acker zu ebenso beschaffenem Recht, wie es noch die Zinsbauern haben. (Ssp. Ldr. III/44,2 u. 3)“

 

Die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels stellt die beiden Stände, sauber getrennt, einander gegenüber. Wie immer man die Entstehung des mittelalterlichen Adels erklären will, er stand jedenfalls zur Zeit des Sachsenspiegels schon in voller Blüte. Der Adel erscheint hier allerdings noch nicht als eine auf den Landesherrn ausgerichtete Ritterschaft, wie sie für die späteren Jahrhunderte typisch ist, sondern eher als eine Genossenschaft der Ritterbürtigen, die im fernen, kaum wahrnehmbaren König den Garanten ihres alten, überlieferten Rechts erblickte.

 

20. und 21. Jahrhundert

 

In Europa hat der Adel in vielen Ländern durch die Entwicklung hin zu Republiken, konstitutionellen Monarchien, sozialistischen oder kommunistischen Systemen seine politische Macht als eigener Stand verloren, ist aber aufgrund seines nach wie vor wirksamen Sozialprestiges nach wie vor überdurchschnittlich oft in repräsentativen Führungspositionen vertreten (mehr als in eigentlichen Machtpositionen) und stellte bis in das 20. Jahrhundert hinein eine relativ geschlossene soziale Schicht, heute häufig zumindest noch ein stilbestimmendes soziales Milieu (darin vergleichbar den verschiedenen Schichten des Bürgertums) mit eigenen Lebensformen, Umgangsweisen und differenziertem Standesethos dar. Die Verbände des Adels, wie die Dachorganisation Cilane und die einzelnen Adelsvereinigungen in den europäischen Ländern werden von einem Teil des Adels als Interessenverbände genutzt.

 

Die Situation des Adels in den verschiedenen europäischen Ländern ist heute sehr heterogen – eine Folge der sehr unterschiedlichen historischen Prozesse in den Ländern:

 

    In einigen Ländern West- und Nordeuropas erlebt der Adel Kontinuität, trotz aller Veränderungen und dem schrittweisen Teilen und Aufgeben seiner politischen Macht (z. B. Großbritannien und Nordirland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Dänemark, Liechtenstein, Monaco, Spanien). In diesen Ländern stehen Monarchenfamilien als Repräsentanten an der Spitze des Staates, wenn auch zum Teil ohne oder mit stark eingeschränkter Macht (siehe z. B. Verfassungsorgane des Vereinigten Königreichs). Adelige sitzen in Großbritannien und Nordirland im Oberhaus, der Aufstieg in den Adel durch Nobilitierung ist in einigen Ländern noch möglich (z. B. Großbritannien und Nordirland, Belgien, Spanien), und sie sind nach wie vor in Verbänden organisiert (z. B. das schwedische Riddarhuset); Adelige bilden dort selbstverständlich einen Teil der Elite.

 

    In anderen Ländern Europas hat hingegen ein deutlicher Bruch stattgefunden. Unter ihnen sind Länder, die Republiken wurden, z. B. Frankreich, Deutschland (1918/1919) und Italien. In diesen Ländern hat der Adel meist auf einen Schlag seine politische Macht vollständig verloren, hat zum Teil aber noch ein gewisses gesellschaftliches Gewicht, während er sich gleichzeitig in Bezug auf Eheschließungen zunehmend groß- und bildungsbürgerlichen Schichten öffnet.

 

    In einigen Ländern wurde der Adel vollständig abgeschafft, so in Österreich (Adelsaufhebungsgesetz 1919). Adelige wurden normale Bürger, das Führen eines Adelstitels untersagt. Dabei wurde aber nicht in Besitzrecht eingegriffen, außer bei der Regentenfamilie (Habsburgergesetze).

 

    Schließlich hat der Adel in einigen anderen, vor allem östlich gelegenen Ländern einen noch schärferen Bruch durch die Errichtung sozialistischer oder kommunistischer Diktaturen erfahren (Sowjetunion, SBZ/DDR, Polen etc.). Hier wurde der Adel zum Teil vollständig seines Besitzes entledigt, vertrieben, interniert oder erschossen.

 

In Deutschland spielt heute die Beachtung des Adelsrechts, das auf die Grundsätze des Salischen Rechts zurückgeht, immer noch eine Rolle, insbesondere in den regelmäßig publizierten Bandreihen des Genealogischen Handbuchs des Adels sowie in der Monatszeitschrift Deutsches Adelsblatt, unter der Aufsicht eines „Deutschen Adelsrechtsausschusses“, da die Gestaltungsmöglichkeiten heutigen Namensrechts (Adoptionen, Weitergabe des Namens durch ausgeheiratete Frauen, einbenannte Ehemänner, nichteheliche Kinder usw.) zahlreiche Namensträger produzieren, die dem „historischen Adel“ nicht angehören („Scheinadel“). In Österreich hingegen ist durch die Streichung aller Titel 1919 einer solchen „Titelflut“ vorgebeugt; hier zählt allein das Wissen, welche Familien und welche der dazugehörenden Namensträger dem Adel angehören oder angehörten.

 

Ehrenkodex des europäischen Adels

 

Als Ehrenkodex des europäischen Adels gilt die Resolution zum Verhaltenskodex des Adels, die von den in der C.I.L.A.N.E. (Commission d’Information et de Liaison des Associations Nobles d’Europe) vertretenen offiziellen europäischen Adelsverbänden am 2. September 1989 im portugiesischen Porto verabschiedet wurde und an der sich im 21. Jahrhundert jeder Edelmann und jede Edelfrau messen lassen soll. Folgende Werte gelten als zukunftsweisend, erstrebens- und erhaltenswert:

 

    Geistig-moralische Werte: Respekt gegenüber anderen religiösen und philosophischen Traditionen (gleichgültig, welcher Religion oder philosophischen Weltanschauung der oder die Adelige angehöre), hoher Stellenwert der Würde der Person, Ausschluss von Intoleranz und Sektierertum, Förderung der Menschenrechte unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und Ethnie, Kultivierung der Ehrenhaftigkeit, Wort halten, Verpflichtungen erfüllen.

    Familiäre Werte: Förderung von Familiensinn und Familienverband, Betrachtung der Familie als Ausgangspunkt der Gesellschaft, Würdigung der Ehe, „Schönheit der ehelichen Liebe“, Schutz des kulturellen Erbes, Erinnerung an die Verstorbenen, Erhaltung der Familientraditionen, familiäre Solidarität, Achtung zwischen den Generationen.

    Gesellschaftliche Werte: „Den Sinn der Freiheit darin zu sehen, Herausragendes anzustreben, Verantwortung zu übernehmen und uneigennützig zu dienen“, Berufung zur Verantwortung, zur Führung zum Wohl aller und nicht um der eigenen Vorteile willen, Aufrechterhaltung des Geistes des Dienens, Erwerb von Sprachkenntnissen, Profession statt Mittelmäßigkeit, Pflege der Haltung, die sich nicht an unmittelbarem Profit und an Macht orientiert, sondern am Nutzen für die Gesellschaft, Verantwortung aus der Geschichte, Unternehmergeist und Mut zur Opferbereitschaft, aktive Teilnahme am Aufbau Europas, Bürgersinn und gemeinwohlorientiertes Handeln, Sorge um das Wohlergehen anderer, insbesondere Schwächerer, Wahrung der Höflichkeit und entsprechender Umgangsformen, Verwurzelung in der örtlichen Gemeinde, Verbundenheit mit Grund und Boden, Heimatsinn und berechtigter Nationalstolz, Schutz der Umwelt, Bewahrung der natürlichen Ressourcen sowie Anerkennung der positiven Rolle des Humors in der Gesellschaft, Vorbild sein.